Ukraina Schizophrenia 2017
Der Weg zurück ist nie derselbe, die Tage vergehen gleichermassen im Rausch der Momente und der erkämpften Erinnerungen.
Man meint diese wären das einzigst Bleibende, – auch dieses Feuer erlischt wenn das Morgengrauen das Abendrot übertüncht hat.
Die Menschen wieseln und wuseln systematisch um sich selbst herum, ohne den Umfang des Kreises zu ahnen.
Einer allein, alle sind zuviel, und die Mischung geht daneben.
Die Flucht führt nie zum Ziel, aber das imaginäre Ziel hat schon viele in die Flucht getrieben.
Mit 7 Personen sich auf den Weg gemacht, von Piltene über Tartu, Riga, Kaunas an die polnisch ukrainische Grenze.
Zur Abwechslung mal neue Diskussionen, mein Bus sei ein Autobus, aber doch nicht, Spurenwechsel und irgendwann nach fast 3 Stunden die Grenze überquert.
Noch zwei ukrainische Tramper in Polen mtgenommen, welche dann spätabends mit uns vor Lvow am See übernachtet haben und uns noch ein schönes kleines Gitarrenkonzert vorm Schlafengehen gaben.
Dann weiter über die üblich schlechten Strassen in die ukrainsichen Karpathen, Uzghorod.
Diesmal waren die reifen des Busses relativ friedlich, dafür musste ich den Bremskompressorschlauch zweimal erneuern, da der erste nicht für hohe Temperaturen ausgeleget war und nach ein paar tausend Kilometer wieder leckte.
Hinter den ukrainischen Karpathen gings dann nach Moldawien, Chisinau, und weiter nach Bessarabien dem Südzipfel Moldawiens.
Dort wurden die Strassen weitgehend unpassierbar und die eine kleine Grenze gschlossen wegen Computerfehler, dioe andere nicht für Ausländer passierbar nur für moldawische und ukrainische Anlieger, dann endlich nach stundenlangem schlingern über aufgelöste Strassen der letzte Übergang.
Der Zöllner hatte vermutlich Langeweile und durchstöberte unseren Bus auf der Suche nach was weiss der Geier, nur den Kühlschrank hat er kurz geöffnet und geschlossen und geflissentlich alle Lebensmittel übersehen, da offiziell keine Milch und Fleischprodukte die Grenze passieren dürfen.
Dann wieder in er Ukraine in einem kleinen halb verlassenen und verschlafenen Städtchen Izmail, an der Donaumündung ein kleiner Stop für ein frisches Gezapftes.
Zwei junge aber ziemlich unansehliche Frauen bieten uns ihre Dienste vergeblich an, auch ein Bier wollen wir nicht ausgeben.
Das Lenin Denkmal ohne Lenin, aber das lässt sich schnell ändern.
Die Abkürzung nach Vilkovo dem ukrainischen Venedig über 50 km völlig unpassierbare Strassenreste, ein Tagesritt.
Als Einlage fast im Schlamm endgültig steckengbleiben, dort wäre im Umkreis von mehr als 20 km nichts zu erwarten gewesen, Autos dort schon lange nicht mehr gesehen.
Vilkovo durchaus interessant durch seine vielen Kanäle, welche nur selten die Häuser streifen, ein Ausflug über den Donauarm und eine anschliessende Weinprobe lasen Urlaubsstimmung aufkommen.
Am nächsten Morgen die ersten kleinen Probleme mit der Einspritzung, der Bus nimmt kein Gas an, wir pumpen, säubern den Vorfilter und dann geht’s bald wieder normal voran, aber das Problem wird uns bis zum Ende der Fahrt treu begleiten.
„Der Versuch sich selber und dem dauernd organisierten und organisierendem Ich zu entkommen endet mitunter abrupt im Fluss, orientierungslos bis zum Hals in vollen Klamotten im Wasser erwacht, dann startet wieder die Reorganisation. Doch das Fleisch wird müde, es kämpft sich ab am Leben – sinnlos – selbstentleerend. Da war kein Halt im Wasser, nur ich selbst, – genausogut hätte ich auch ertrinken können.“
(das Ende eines durchzechten Abends mit Wodka Büffelgras)
Schliesslich das Meer bei Prymorske erreicht. 25 Grad warmes Wasser und leichte Wellen, zwei ältere Herren aus Moldawien stehen mit ihrem alten Renault neben unserem Bus, sie machen Urlaub am Meer für einen Tag von Chisinau kommen. Schaschlikbuden gibt’s einige im Urlaubsort sowie einen Markt einheimischer Produkte und natürlich auch die vielen Chinesen Plastikmüllstände.
Viel Spektakel am Strand die letzten Urlaubstage werden von vielen Ukrainern genutzt ob Krieg oder nicht, es scheint kaum jemanden zu interessieren.
Auf dem Wege nach Odessa passieren wir unbeabsichtigt Transnistrien, ein Militärposten fragt uns „Transit?“, wieviele Leute“ und reicht uns dann einen gestempelten Zettel mit Uhrzeit und Fahrzeugnummer. Nach ca. 10 km geben wir den dann an einem anderen Militärposten ab und befahren wieder die Republik Ukraine.
In Odessa trenne sich unsere Wege für eine Zeitlang, die 4 Esten wollen 6 Tage in Odessa verbringen und wir uns auf die Spuren unseres lettsichen Freundes Arthurs begeben, welcher von 1988 – 1990 in Ivanovka im Osten der Ukraine Maisanbau und Ernte im Kolchosenaustauschprojekt zwischen Lettland und Ukraine 3 Jahre vom Frühjahr bis zum Spätsommer erlebt hat.
Etwas Sommerurlaub am Meer wollen wir noch geniessen, also fahren wir hinter Cherson nochmal an die Küste vor der Krim, die letzte und grösste Urlaubsbastion der Ukraine Jelensky Port.
Eine fast 5 km andauernde Vergnügungsmeile direkt am Meer mit unzähligen Restaurants, Spafischen, Souvenirläden, Hotels etc.. Doch der Sommer war schon irgendwie vorbei, das Wasser so kalt wie an der Ostsee und die Luft auch nur um 20 Grad.
Dort sieht man auch ein paar wenige Autos mit russischen Kennzeichen, die guten Hotels haben europäische Preise, eine Übernachtung kostet fast 100 EUR für ein Zimmer mit Meerblick. Der Krieg wird von der Bevölkerung nicht wirklich ernst genommen, auch wenn eine Krankenschwester aus Dnejperpetrowsk von den vielen Verwundeten spricht welche in die Krankenhäuser von der Front eingeliefert werden, ganz junge Männer meist, so wird doch daneben gelassen Urlaub gemacht, Transitabkommen mit Transnistrien funktionieren trotz „Russischer“ Front und auch die nordöstlichen Grenzen zwischen Russland und Ukraine arbeiten ganz normal mit Warenaustausch etc.. Die meisten der Ukrainer meinen das dieser Krieg eine Machtspiel von Oligarchen sei, was auf dem Rücken der armen jugendlichen Soldaten ausgetragen wird, welche keine andere halbwegs gut bezahlte Arbeit finden können, als für 400 Dollar monatlich in die Armee zu gehen.
Tomatenfelder und Zwiebelfelder säumen den Wegesrand der südukrainischen Landschaft, wir ernten ein wenig für den Eigenbedarf, die Tomatenpreise auf dem markt sind im freien Saisonfall, ein kg kostet 2 Griwna (umgerechnet 7 EUROcent).
Den guten gereiften Schafskäse gibt es immer noch in Odessa, ca. 5 EUR das Kg. Die Milch- und Milchproduktpreise haben schon europäisches Niveau erreicht, ein Liter Kefir fast 1 EUR, Käse das Kg auch kaum wesentlich unter 5 EUR zu finden. Nur Brot, Bier und Schnaps liegt noch wesentlich unter EU Niveau.
Die schöne rote Strasse in den Nordosten der Ukraine auf der Karte, über Baschtanka, entpuppt sich als vollständige Katastrophe.
Nach einem Tag wieder asphaltlosem Transitstrassenirrsinn erreichen wir Kryviyi Rih, eine Industriestadt mit immer noch rauchenden Schornsteinen, aber ohne eigentlich lebendiges Zentrum.
Von dort fahren wir Richtung Dolynska zum kleinen Dorf Ivanovka.
Unser lettischer Freund findet glatt noch den alten Kolchosendirektor, mttlerweile 77 Jahre alt, welcher unserem Bus gleich bei seinem Schwiegersohn auf dem Seegrundstück einen Platz zuweisst. Dann trudeln auch noch ein paar andere alte Bekannte ein, der Tisch füllt sich mit Essen und Flaschen, die Nacht der Erinnerungen wird lang und ausschweifend.
Das Dorffest zum Unabhängigkeitstag der Ukraine versammelt Alt und Jung, Reste einer vormedialen Gesellschaft, denn auch Internet scheint es im Dorfe noch nicht zu geben.
Das der nächste Tag zum Aufbruch führt, war mir eher unwahrscheinlich, und natürlich sagen die alten bekannten von unserem lettischen Freund wir müssen noch eine Nacht bleiben, die Flaschen kommen schon morgens auf den Tisch, aber immerhin unterziehen wir dem Bus noch eine Inspektion mit diversen Schweissarbeiten, was wegen Stromausfall teils mit Generator improvisiert werden muss.
Doch schliesslich am nächsten Morgen, Arthurs war ganz kaputt, fuhren wir weiter nach Cherkassy, zu einem guten Freund von mir, welcher sich nach langem Arbeitsleben in Deutschland eine Haus in der Nähe des Dnjeper gebaut hat, auf dem alten Familiengrundstück, welches unter Stalin den Flüchtlingen vor dem Staudamm zugewiesen wurden, sie bekahmen nur das Grundstück, ads Haus konnten sie selber sehen was sie noch vor der Flutung zusammentragen konnten.
Die Dnjeper hat fast eine so grosse Breite und Ausdehnung in Cherkassy, das man zumal mit den windigen Wellen den Eindruck gewinnen könnte am Meer zu sein.
Seine Schwester welche noch nie ausserhalb der Ukraine war, möchte mit uns und ihrem Sohn nach Lublin/Polen mitfahren, um auch die Grenzüberquerung mit uns gemeinsam einfacher zu haben.
Beeindruckend dann hinter Kiew noch die riesige Burgfestung Nigzipui, ein dem polnischen Adel gehöriger Koloss, in den 50er Jahren ausgebrannt (3 Tage wütete das Feuer). Heute kann man es besichtigen, innen gibt es nichts zu sehen, Eintritt wird verlangt aber offiziel verschieben sich immer die Öffnungszeiten, sodas wir zweimal im Innenhof waren ohne offiziell etwas besichtigt zu haben. Ein imposanter Ausblick auf die riesige galizische Landebene unter einem welche sich über afst 50 km sichtbar hinstreckt, unwillkürlich muss an die Erzählungen und Stimmungen von Joseph Roth denken.
Die Grenze wie immer ein Geduldsspiel, als Bus winkt man mich zwar an der PKW Reihe vorbei, was schon mal fast einen Tag Vorsprung gibt, dann aber wieder die Bus Nichtbus Diskussion.
Derweil unsere Esten immer betrunkener werden, begreifen auch die Zöllner das mit diesem Hippiebus nicht viel anzufangen ist, eine oberflächliche Durchsuchung und dann nach afst 4 Stunden wieder in Polen.
Technsich zwei kleine Beulen, eine beim Rangieren und eine beim Aufsetzen mit dem Vorderteil in einem hüftgrossen Schlagloch.
Ein Auspuffabriss, ein platter Reifen (Wunder wie wenig?), der Bremsdruckluftschlauch (gleich zweimal), ein Spiegelabriss, eine lose Vorderfederhalterung, lose Sitzhalterungen durch das ewige Gerumpel, – aber immer noch zuverlässig der fast 45 jahre alte Bus.